KI-Influencer und KI-Follower: Medienkompetenz als Schlüsselkompetenz für eine aufgeklärte Gesellschaft?
von Marcus Kuhn
In unserer heutigen, digitalisierten Gesellschaft, in der die Grenzen zwischen Realität und digitaler Fiktion zunehmend verschwimmen, steht Medienkompetenz hoch im Kurs – und unser Bildungssystem vor neuen Herausforderungen. Das Aufkommen von virtuellen Influencern beziehungsweise KI-Influencern in sozialen Netzwerken ist ein faszinierendes Phänomen, das nicht nur unsere Mediennutzung, sondern auch unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit beeinflusst. Es lässt sich aktuell nur erahnen, welchen Weg wir in der Symbiose zwischen Mensch und Maschine auf technischer, aber auch kultureller Seite einschlagen könnten.
KI-Influencer sind fiktive Personen, die durch KI generierte Inhalte posten und gleichzeitige menschliche Follower haben. Das schillerndste Beispiel ist wohl die fiktive Person lilmiquela mit 2,6 Millionen Followern auf Instagram, die als „19-year-old-Roboter living in LA“ beschreibt. Zwar entstehen die Inhalte und Lebensentwürfe dieser virtuellen Influencer derzeit noch über menschliche Profile, auf welche über KI zur Generierung zurückgegriffen wird – allerdings ist es wohl eine Frage der Zeit, bis genug Trainingsdaten vorliegen, um auch vollständig autarke KI-Influencer umsetzen zu können. Menschen, die bereitwillig KI auf Social Media folgen, mitfiebern und sich positionieren – welche Bedeutung hat diese Entwicklung für Gesellschaft und Bildung, und (wie) können Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler hierauf vorbereiten?
KI in sozialen Medien: Eine neue Realität?
Soziale Medien sind ein Brennpunkt für die Begegnung von Menschen und KI. Laut einer Studie von Pew Research Center waren 2022 bis zu 16,5 Millionen Bots auf Twitter aktiv, während Forscher schätzen, dass auf Instagram etwa 95 Millionen KI-Bots registriert sind (Pew Research Center: 2022). Über den Umweg des Herdentriebs und den verhaltenspsychologischen Effekt des „Social Proof“ beeinflusst KI somit bereits die Denkmuster und Entscheidungsdebatten im digitalen Raum. Spätestens seit den Präsidentschaftswahlen 2016 in den USA hat diese Erkenntnis die breite Öffentlichkeit erreicht. KI-Influencer, die fiktive Narrative erschaffen und Millionen von Followern anziehen, scheinen vor diesem Hintergrund ein logischer nächste Schritt zu sein – und würden die aktuelle Art und Weise, wie wir Information und Unterhaltung konsumieren, auf den Kopf stellen.
Dass KI-Influencer auch politische Interessen vertreten können, wird beispielsweise bei der erwähnten „Lilmiquela“ deutlich, welche die BlackLivesMatter-Bewegung unterstützt. Sicherlich eine wertvolle Positionierung – die allerdings zeigt, dass sich auch die KI nicht im politisch-luftleeren Raum bewegt. Wenn man ein wenig herauszoomt, wird deutlich, welche gesellschaftlichen Veränderungen wir gerade durchlaufen: Nach „KI-Bots folgen Menschen“ kommt nun der nächste Schritt auf der Leiter: „Menschen folgen KI-Influencern“.
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Die (vielleicht nicht alleinigen) Beweggründe für eine Umsetzung von KI-Influencern werden schnell deutlich: Die Follower empfinden Nähe, fassen Vertrauen und werden auf diesem Wege zu Produkten geführt. So weit, so gut – dieses Procedere können wir auch bei klassischen Filmfiguren und Ähnlichem erkennen. Es ist nichts Neues, dass fiktive Figuren und andere kulturelle Erzeugnisse unsere Wirklichkeit und unser Handeln beeinflussen. Spannend wird es allerdings, wenn man berücksichtigt, dass laut einem FAZ-Artikel 40% der User als glaubwürdig einschätzen, was ihnen durch KI-Influencer berichtet wird. Hier findet eine Grenzverschiebung statt, die Menschen, die maßgeblich im letzten Jahrtausend sozialisiert wurden, vielleicht (noch) völlig absurd erscheint – und gleichzeitig völlig normal wirken könnte, sobald sich ein entsprechender kultureller Wandel in der Akzeptanz vollzogen hat.
Man muss sich dabei auch vor Augen halten, dass die KI, mit der wir es diese Tage zu tun haben, die am wenigsten entwickelte KI ist, mit der wir es jemals zu tun haben werden. Die Fortschritte der Modelle gehen im Siebenmeilenschritt voran, und ein Ende ist noch lange nicht absehbar. Diese rasante Entwicklung wirft wichtige Fragen auf: Wie gestalten sich zukünftig soziale Nähe und emotionale Beeinflussung von Menschen durch KI? Der Universalhistoriker Yuval Harari zufolge sind es vor allem Geschichten, über die sich Gesellschaften reproduzieren. Dies wird spannend, wenn diese Geschichten in zunehmendem Maße durch KI erzählt werden. Besonders, da die meistgenutzten KIs mit den USA aus einem ähnlichen, aber dennoch nicht identischen kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenhang stammen. Welche Auswirkungen hat dies auf unsere Gesellschaft? Wollen, und vor allem können wir in Zukunft noch zwischen realen und künstlich erzeugten Informationen nennenswert unterscheiden?
Die Herausforderung für das Bildungssystem
Demokratisierung von Deepfakes und kritische Medienbildung
In einer Welt, in der Deepfakes immer leichter zu produzieren sind und ihre schismogene Kraft auch in politischen Wahlen unter Beweis stellen werden, ist es unabdingbar, dass Schülerinnen und Schüler über Fähigkeiten verfügen, die es ihnen ermöglichen, die Authentizität von Medieninhalten zu überprüfen. Praktisch kann dies bedeuten, dass Schulen Methoden wie Faktenchecks in ihre Lehrpläne integrieren, um Schülerinnen und Schüler auf diese neuen Herausforderungen vorzubereiten. Hier kann es sich immer nur um dynamische Inhalte handeln – da das Katz-und-Maus Spiel von Deepfakes und der Aufklärung, wie etwa durch digitale Wasserzeichen, versteckte Pixel in KI-Bildern oder die Bilderrückwärtssuche mit Google nur eine Momentaufnahme darstellen und schon morgen obsolet sein können. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass Bild und Ton an Glaubwürdigkeit verlieren (Texte haben diese spätestens seit der flächendeckenden Verfügbarkeit von Druckern und Kopierern schrittweise eingebüßt). Immer mehr Bedeutung bekommt im gleichen Zug der Sender oder die Senderin von Informationen (Tagesschau vs. anonymer Telegramkanal).
Schule kann und sollte hier eine Renaissance als Gatekeeper zu „validen“ Wissen einnehmen und sich neben anderen seriösen Quellen ohne politische Agenda und monetäre Interessen positionieren. Nachdem das frei zugängliche Wissen im Internet zunehmend verwässert und immer stärker auch gezielt manipuliert wird, wird auch die Bedeutung von Schule und Universität zur Vermittlung von Fähigkeiten, diese Informationen auf Relevanz und Wahrheitsgehalt hin zu prüfen, immer größer.
Die Rolle der Schule in einer digital dominierten Welt
Lehrkräfte haben die Verantwortung, die nächste Generation auf eine Welt vorzubereiten, in der KI eine immer wichtigere Rolle spielt. Dies beinhaltet nicht nur die Vermittlung von Kenntnissen über KI und ihre Anwendungen, sondern auch die Förderung einer kritischen und reflektierten Mediennutzung. Der Rolle der Lehrkraft wird in den nächsten Jahren zunehmend durch ein ständiges „am Puls der Zeit sein“ geprägt sein müssen, denn wir stehen an der Schwelle hin zu einem Punkt, an dem gesellschaftliche und technische Entwicklung nicht mehr linear verlaufen, sondern sich immer stärker über eine exponentielle Kurve darstellen lassen. Schulen sollten proaktiv auf diese Entwicklungen reagieren. Programme wie „Medienkompetenz im Schulalltag“ (Friedrich-Ebert-Stiftung: 2021) zeigen, wie Lehrkräfte dabei unterstützt werden können, Schülerinnen und Schüler einen bewussten Umgang mit Medien zu vermitteln.
Solche Initiativen wie auch gezielte Lehrkräftefortbildungen und -schulungen sind entscheidend, um Schülerinnen und Schüler gezielt auf eine von KI beeinflusste Welt vorzubereiten. Ob Umgang mit KI oder der Umgang mit digitalem Stress und der Omnipräsenz digitaler Medien: Im Bereich digitale Bildung gibt es viele Themen, welche über eine hohe Aktualität und Relevanz verfügen, aufgrund ihrer Schnelllebigkeit aber auch eine stetige Auffrischung des eigenen Kenntnisstandes bedürfen. Hier benötigen Lehrkräfte gezielte Unterstützung! Das ISH bietet Lehrkräftefortbildungen speziell zu verschiedenen Themen aus den Bereichen KI und Digitalität an, in denen gezielt darauf eingegangen wird, wie Schülerinnen und Schüler auf veränderte digitale Lebenswelten vorbereitet und beim optimalen Einsatz digitaler Medien in Schule und Freizeit begleitet werden können.
Mehr Informationen dazu hier: ISH Lehrkräftefortbildungen
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Zukünftige Entwicklungen in der KI und ihre Bedeutung für die Bildung
Die potenziellen Entwicklungen in Bezug auf KI sind nahezu grenzenlos. Ein Bericht der Stanford University beschreibt Szenarien, in denen KI in Musik, Kunst und sogar in der Lehre eingesetzt werden könnte (Stanford University: 2022). KI-MusikerInnen und KI-Lehrkräfte? Solche Szenarien erfordern eine tiefgreifende Reflektion in Bezug auf die Frage, wie unsere Gesellschaft und auch unser Konzept von Bildung in Zukunft aussehen könnten. Schulen stehen vor der Herausforderung, Lehrpläne zu entwickeln, um Schülerinnen und Schüler mit den nötigen Fähigkeiten zum Umgang mit einer zunehmend von KI beeinflussten Gesellschaft auszustatten. Es geht um die Entwicklung eines Verständnisses der digitalen Welt und die Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler darauf, als verantwortungsbewusste, informierte und kritisch denkende Mitglieder der Gesellschaft wirksam sein zu können. Dies erfordert eine Anpassung des Lehrplans und die Integration von Themen wie Ethik der KI, Datenschutz, kritische Mediennutzung und digitale Kompetenz. Denn erst, wenn Schülerinnen und Schüler sich selbstsicher in der Welt von heute und morgen bewegen können, kann auch die (weiterhin unverzichtbare) humanistische Bildung wirklich erfolgreich sein.
Mit Blick auf KI können somit langfristig viele klassische Elemente der Bildungswelt einen Wendepunkt erreichen. Die Integration von KI im Bildungsbereich eröffnet neue Möglichkeiten und Herausforderungen und erfordert ein Umdenken in der Art und Weise, wie wir Bildung verstehen und anbieten. Die Schüler von heute müssen nicht nur mit Wissen, sondern auch mit der Fähigkeit ausgestattet werden, dieses Wissen in einer komplexen und sich schnell verändernden Welt anzuwenden, anzupassen und in einem lebenslangen iterativen Vorgehen immer wieder kritisch zu reflektieren und neu zu bewerten.
Fazit
Lehrkräfte stehen inzwischen an der vordersten Front einer sich rapide wandelnden Gesellschaft. Es ist unser aller Aufgabe, die Schülerinnen und Schüler und Schüler nicht nur mit Wissen, sondern auch mit den Fähigkeiten auszustatten, die sie benötigen, um in einer zunehmend von KI geprägten Welt verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Wird es auf absehbare Zeit KI-Lehrkräfte geben? Vielleicht. Eine Art KI-Mentor für jede lernende Person ist bereits technisch einfach umsetzbar und findet vereinzelt bereits statt, wie etwa der KI-Tutor „Syntea“ an der Internationalen Universität (IU). Damit könnten wir einen großen Schritt hin zum personalisierten Lernen schaffen – und im Präsenzunterricht den Fokus zunehmend auf die menschliche Bildung legen. Denn wie heißt es so schön in dem Buch „Weltbeste Bildung“ von Professorin Yasmin Weiß (2022): Je digitalisierter die Welt wird, desto menschlicher müssen wir selbst werden. In jedem Fall wird uns eine Generation folgen, die KI mit deutlich weniger Sorge, Angst und Argwohn gegenübertritt – und diese Generation sollte mit einem Rucksack an Fähigkeiten zur kritischen Reflexion und Einordnung digitaler Informationen ausgestattet sein.
Quellen
- Friedrich-Ebert-Stiftung (2021). "Medienkompetenz im Schulalltag."
- Pew Research Center (2022). "Social Media Bots: Eine wachsende Herausforderung."
- Weiß, Y. (2022). Weltbeste Bildung. Wie wir unsere digitale Zukunft sichern. Campus Verlag.
- Stanford University (2022). Artificial Intelligence Index Report 2022.